Was MACHE ich hier

Ich bin in einer fremden Stadt, in einem anderen Land.
Unter meinen Füssen eine bröckelnde, wackelnde Marmorplatte, während ich auf das Lichtsignal am Fussgängerstreifen warte.
Viel Monumentales, Adler, Flügel, alles Gross und Mächtig. Und alt.
Verblasste Macht erzählt von vergangener Glorie, von einem weltumspannenden Imperium, das jetzt nur noch eine leere Hülle ist, eine Erinnerung gebannt in Stein.
Das Moderne hineingepflanzt, grelle Leuchtreklamen und schnelle Burgerketten zwischen meterdicken Marmorsäulen, die das riesige Gebäude tragen.
Hier mögen einst Barbaren aus den Wäldern im Norden vor Ehrfurcht erstarrt, auf die Knie gefallen sein, vor so viel Macht und Grösse erschaffen von Menschenhand.
Und doch, nur die Hüllen sind geblieben, matt glänzend, Ruinen gleichend.
Was ich heute hier mache, hat genau damit zu tun.
Ich versuche aus den Ruinen von Vergangenem, von vermeindlich Vergessenem, wieder Bilder aus der Erinnerung heraufsteigen zu lassen. Von Riten, die über Jahrtausende hinweg praktiziert wurden, die so nahe an unserem Kern sind, dass sie auch nach einer relativ kurzen Zeit von zweitausend Jahren und der sogenannten Zivilisation, noch immer in uns lebendig sind.
Bereit, abgerufen zu werden, gefüllt zu werden mit uns, unserer Kraft, unserer Präsenz.
Ganz natürlich.
Ganz urkräftig.
Ganz wir selbst.
Selbstverständlich steht das nirgends.
Und die Menschen die mich einladen, wissen das nicht.
Aber sie spüren es, sie spüren die Wirkung davon.
Und möchten genau das, auch wenn sie es, würde man sie fragen, nicht zugeben könnten.
Verbundenheit. Stärke. Einen Stamm.
In der edlen Lobby des teueren Hotels warte ich, fleissige Angestellte wuseln herum, fragen nach Wünschen, verbeugen sich, erfüllen sie.
Männer mit Kravatten und Anzügen, Frauen mit hohen Schuhen und kurzen Röcken sitzen an Tischen, essen, trinken.
Manager, Geld, Macht sitz hier.
Und ich, mittendrin.
In solchen Momenten bin ich unsicher.
Was wird von mir erwartet?
Genüge ich mit dem was ich bringe? Mit dem was ich bin?
Oder erkennen sie mich als den Fremdkörper, als der ich mich fühle?
Ich werde abgeholt von einer kleinen Frau in Blazer und Brille.
»Bist du gross!« meint sie und lacht.
Ich muss schmunzeln und das Eis ist gebrochen, ich beginne mich wohler zu fühlen.
Sie führt mich in einen Raum, an dessen Wänden gestapelt Stühle und Tische stehen.
In diesem eher kleinen Raum sollen nachher 60 Männer und Frauen mit mir einen Workshop machen.
Männer mit Kravatten und Frauen mit hohen Schuhen. Ich bin gespannt.
»Das war grossartig!« sagt einer der leitenden Angestellten und schüttelt mir begeistert die Hand.
Er ist nicht der Einzige, einige kommen und freuen sich über den gelungenen Event, noch immer verschwitzt und schwer atmend.
Aber erfüllt. Erfüllt von etwas, das wir vergessen haben, aber eigentlich sind.
Wild, mächtig, laut.
Verbunden. Authentisch. Ein Stamm.
Und ich erkenne wieder, was meine Aufgabe ist.